René Mense – Arrangeur


 

 

Hirten- und Minnelieder
für Violoncello solo

Christina Meißner - TrouvaillesCD-Einspielung von Christina Meißner

 

 

 

Vorwort der im Peer Musikverlag Hamburg erschienenen Notenausgabe:

  Die in diesem Band gesammelten Bearbeitungen von Melodien aus dem Nordfrankreich der Jahre 1100 bis etwa 1250 werden hier erstmals in einer Fassung für Violoncello solo vorgestellt.

  Dieser Ausgabe gingen zwei weitere voraus, in denen dieselben Melodien mit den zugehörigen altfranzösischen Originaltexten für eine Singstimme mit Begleitung eines Tasteninstruments bzw. einer Gitarre gesetzt wurden. Auf den Abdruck dieser Texte wird in der vorliegenden, rein instrumentalen Fassung verzichtet, um die Leserlichkeit des Notenbildes nicht unnötig zu erschweren. Dennoch finden sich zum besseren Verständnis im Anhang des Notentextes Informationen über den Inhalt der Texte. Dem möchte ich noch einige Worte über die gesellschaftlichen Hintergründe, denen diese Lieder ihre Entstehung verdanken, voranstellen:

  Zwei Lieder: La dolce vois del roisignor salvage sowie Par desous l´ombre d´un bois gehören zum Repertoire der sogenannten Trouvères (von franz.“trouver“ = finden). Diese waren die nordfranzösischen Nachfolger der in der Provence wirkenden Troubadours. Aus ihrer hohen Dicht- und Gesangskunst entwickelte sich der höfische Minnesang.

  Die Minne war eine rein geistige Liebe, die ein hoher Herr (chévalier) einer Dame am Hof entgegenbrachte. Ihr Ideal hat ein unbekannter Trouvère einmal mit den Worten „l´amour de loin“ zum Ausdruck gebracht, was soviel bedeutet wie die „Liebe vom Fernen her“. Es handelt sich also um eine ins Künstlerische sublimierte Liebe, deren Erfüllung aufgeschoben werden muss. Nicht zuletzt gründet die europäische Literatur auf dieser Idee der Minne, die in bestimmten Aspekten wiederum wesentlichen Einflüssen der persisch-arabischen Literatur zu verdanken ist, worauf an dieser Stelle nur allgemein hingewiesen werden kann.

  Von größerer Bedeutung für die „Erfindung“ der Literatur im christlichen Europa ist hingegen die Mutter des Erlösers. Maria durfte seit dem späten 10. Jahrhundert aus ihrem beinah tausendjährigen Schattendasein heraustreten in das Licht inbrünstiger Verehrung und (trotz des Bilderverbots) Anbetung. In diesem Zusammenhang muss eine gerade auch für die Minne sehr prägende Gestalt Erwähnung finden: Gemeint ist der 1174 heiliggesprochene Bernhard, Abt im burgundischen Clairvaux. Zur spirituellen Vertiefung seiner glühenden Predigten, die der Anwerbung zur Teilnahme am 2. Kreuzzug (1146 bis 1148) gewidmet waren, dichtete Bernhard auch Hymnen auf Gottes Liebe bzw. Maria. Ihre neuartige Kühnheit liegt nun darin, dass sie den Christen erstmals direkt als empfindendes Subjekt ansprachen und es ihm erlaubten, sein Begehren geistig auf Maria zu richten. Damit und über die Teilnahme am Kreuzzug sollte der Gläubige einer Erlösung nahegebracht werden (Anm.: Die Betonung von Christi Menschennatur durch die Einführung der Anbetung seines Leibes am Kreuz fällt – obgleich etwa 170 Jahre früher in später ottonischer Zeit – auch in genau diesen Zusammenhang).

  Dies alles ist der eigentliche Hintergrund des Minnesangs und ihm folgt dessen hohes ritterliches Ethos: Die Vorstellung, das Liebeswerben könne vonseiten der Dame erwidert werden, wird als himmlisches Sich-Herabneigen der Maria, ja, als Gnade gedeutet, die unvereinbar ist mit der eigenen Unwürdigkeit und Nichtigkeit als sündiger Mensch.

  Die weiteren drei Melodien in diesem Heft sind eher volkstümlichen Charakters und wurden von Jongleuren – auch „ménestrels“ genannt – also den Spielleuten auf den Märkten der Städte vorgetragen. Während diese Spielleute zunächst am unteren Rand der sozialen Schichtung standen, erfuhren sie bald eine gewisse Aufwertung, indem sie sich hohen Herren anschlossen, in deren Dienst sie als Hofsänger traten.

  Das Thema der Jongleure war nicht die hohe Minne der Aristokraten, sondern vornehmlich das in Frankreich noch bis ins 20. Jahrhundert hinein beliebte Schäferidyll (Pastourelle). Daneben sangen sie jahreszeitlich inspirierte Lieder, allen voran die Mailieder – dazu in diesem Band Voici le mai – sowie verschiedene Liebeslieder aus der Perspektive von Frauen und Kreuzzugslieder.

  Ein Wort noch zur Überlieferung und historischen Darbietung der Melodien, die meinen Bearbeitungen zugrunde liegen:

  Die Notation solcher Melodien in der Zeit vor 1280 war spärlich insofern, als die Dauern der Noten nur in etwa wiedergegeben wurden. Die Grundlage dieser Musik war der Tanz. Bei der Übertragung der Noten wendet man daher in der Regel Rhythmen an, die antiken Versmaßen entlehnt sind (Modalrhythmik). Dies folgt der Musik an Notre Dame de Paris (ars antiqua), die zu der Zeit die Fortschrittlichste war.

  Zur Unterstützung des Gesangs wurden außerhalb der Kirche auch bei mehrstimmiger Musik Instrumente herangezogen. Was sie zu spielen hatten, war aber noch nicht notiert. Die übliche Vortragsweise wird vermutlich gewesen sein, dass zu der Gesangsstimme Instrumente hinzutraten, welche die Melodie mitspielten. Diese „colla parte“ genannte Begleitpraxis, bei der die Instrumentalisten höchstens die Freiheit hatten, dem Melodieverlauf gelegentlich Töne hinzuzufügen, hat sich im Grunde bis heute gehalten, wenn man sich ansieht wie traditionelle Musik bestimmter Ethnien gespielt wird.

  Im Zuge der europäischen Renaissance fand dann seit dem frühen 16. Jahrhundert eine Emanzipation der Instrumente von ihrer dem Gesang dienenden Funktion statt. Es wurden Formen der Variation von gegebenen Melodien entwickelt, die der oder die Spieler aus dem Kopf improvisierten. Dieses „alla mente“ genannte Musizieren wurde dann zusehends auch von den Komponisten notiert und verfeinert.

  An eben diese Praxis wollen meine Bearbeitungen in leicht modernisiertem Gewand erinnern.

Aufführungstermine siehe Aktuelles.

> Mehr Info & Notenbeispiele

< zurück

 

 

 Impressum | Fotos:  Susanne E. Fraatz | Webdesign:  Frank Ralf