René Mense


 

 

Elliott Carter - Biographie

  Zweimaliger Pulitzer-Preisträger und erster Komponist, dem die National Medal of Arts der Vereinigten Staaten verliehen wurde, einer der wenigen Komponisten unter den Trägern des Ernst von Siemens Musikpreises, 1988 von der französischen Regierung zum "Commandeur dans l’Ordre des Arts et des Lettres" ernannt – Elliott Carter genießt weltweit den Rang einer der führenden Stimmen Amerikas in der klassischen Musiktradition. Kürzlich wurde ihm der Preis der Stiftung Prince Pierre de Monaco verliehen; er gehört zu einer Handvoll lebender Komponisten, die in die Classical Music Hall of Fame aufgenommen wurden.

  Als Carter am 11. Dezember 2003 seinen 95. Geburtstag feierte, überbrachten ihm Aufführende aus der ganzen Welt ihre Glückwünsche und feierten das Ereignis in der Jubiläumssaison mit Konzerten in Boston, London, Los Angeles, Minsk, New York, Washington DC und anderen Städten. Die Labels ECM, Naïve und Mode brachten bedeutende Aufnahmen heraus.

  Carter, den sein Freund und Mentor Charles Ives zu seiner musikalischen Laufbahn ermutigt hatte, überzeugte die Jury des Pulitzerpreises zum ersten Mal 1960 mit seinen bahnbrechenden Kompositionen für Streichquartett. Kurze Zeit sprach sich Strawinsky begeistert für Carter aus und erklärte dessen
Doppelkonzert für Cembalo, Klavier und zwei Kammerorchester (1961) und sein Klavierkonzert (1967) zu Meisterwerken. Auch wenn Carter den größten Teil der 60er Jahre mit der Arbeit an nur zwei Werken verbrachte, dem Klavierkonzert und dem Konzert für Orchester (1969), führten die Durchbrüche, die er in diesen Stücken erzielte, zu einem künstlerischen Wiederaufleben, das in den kommenden Jahrzehnten noch an Schwungkraft gewann. Carters erstaunliche Produktivität und die Lebendigkeit seines Schaffens in der Mitte seines zehnten Lebensjahrzehnts gehört zu den außergewöhnlichen Seiten seiner Biographie. Die Kritiker sind sich einig, dass seine neueren Werke zu den reizvollsten, empfindungsstärksten und bezauberndsten gehören, die er jemals geschrieben hat.

  Der Anfang dieses Schaffensrausches geht in die 80er Jahre zurück, in denen große Orchesterwerke wie das
Oboenkonzert (1986-87), Three Occasions (1989 fertiggestellt) und das enorm erfolgreiche Violinkonzert (1990), das bereits in über einem Dutzend Ländern aufgeführt wurde, entstanden. Die Aufnahme des Violinkonzerts auf Virgin Classics mit London Sinfonietta unter Oliver Knussen und Ole Böhn als Solist brachte Carter einen Grammy für die beste zeitgenössische Komposition des Jahres 1994 ein. Die Krönung von Carters Schaffen als Orchesterkomponist ist vielleicht sein 50minütiges Triptychon Symphonia: sum fluxae pretium spei („Ich bin der Preis der vergehenden Hoffnung"), das am 25. April 1998 mit Oliver Knussen und dem BBC-Symphonieorchester im Rahmen der ISCM World Music Days in Manchester erstmals vollständig aufgeführt wurde. Eine preisgekrönte Aufnahme der Symphonia durch Knussen und die BBC-Symphoniker ist auf der Deutschen Grammophon erschienen, zusammen mit Carters lebhaftem und verspieltem Klarinettenkonzert (1996), das vom Ensemble InterContemporain, Orpheus, London Sinfonietta, dem Ensemble Modern und einigen anderen herausragenden Ensembles in vielen Ländern zur Aufführung gebracht wurde. In der Folge schrieb Carter zwei Werke für das Chicago Symphony Orchestra: das
Cellokonzert (2001), vom selben Orchester und Yo-Yo Ma uraufgeführt, und Of Rewaking (2003), ein Orchesterzyklus von drei Liedern auf Texte von William Carlos Williams; bei beiden Premieren stand Daniel Barenboim am Pult. Das Boston Concerto, ein Auftragswerk des Boston Symphony Orchestra, das das Werk unter Ingo Metzmacher uraufführte, erlebte ebenfalls 2003 seine Premiere. Die erstaunliche späte Schaffensfreude des Komponisten hält unvermindert an: Anfang 2004 präsentierte er wieder zwei neue, hochgelobte Werke: Micomicon, ein geistreiches Konzerteröffnungsstück für das Boston Symphony Orchestra, und die prägnanten, von London Sinfonietta in Auftrag gegebenen Dialogues für Klavier und großes Ensemble.

  Carters erste Oper,
What Next?, ein Auftragswerk der Berliner Staatsoper Unter den Linden, wurde dort 1999 unter Daniel Barenboim vorgestellt. Das 45minütige Werk auf ein Libretto von Paul Griffiths ist ein sarkastischer Kommentar auf die condition humaine, indem es sechs Figuren, die zwar unverletzt geblieben, aber durcheinander sind, dabei beobachtet, wie sie mit den Folgen eines Autounfalls zurechtkommen. What Next? wurde von Kritikern aus der ganzen Welt für seinen Witz, die sichere Stimmführung und die subtile Instrumentierung gelobt.

  Auch in kleineren Formen beweist Carter immer wieder seine Meisterschaft. Neben einer Vielzahl kurzer Solo- und Kammermusikstücke brachte er in seinen späteren Jahren auch größere Werke zu Papier, wie das Triple Duo (1983), das Quintett (für Klavier und Bläser, 1991) und das 5. Streichquartett (1995), geschrieben für das Arditti Quartett. Ursula Oppens, die sich ebenfalls leidenschaftlich für Carters Musik einsetzt, führte das Quintett für Klavier und Streichquartett erstmals im November 1998 gemeinsam mit dem Arditti Quartett im Coolidge Auditorium der Washingtoner Library of Congress auf, woran sich eine Tournee durch Europa und die USA anschloss. Zu Carters Werken aus jüngerer Zeit gehören etwa das für das holländische ASKO Ensemble geschriebene Asko Concerto und Tempo e Tempi, ein Liederzyklus auf italienische Texte für Sopran, Oboe, Klarinette, Violine und Cello. 2005 hob das Nash Ensemble das spielerisch-humorvolle Mosaic aus der Taufe, eines von verschieden neuen Kammermusikstücken, und im Jahr 2006 kamen drei Werke zur Uraufführung: Intermittences, ein im gemeinsamen Auftrag der Carnegie Hall Corporation und des Gilmore International Keyboard Festival entstandenes und von Peter Serkin gespieltes Solo-Klavierstück, In the Distances of Sleep mit Michelle DeYoung und dem MET Chamber Ensemble unter James Levine sowie Caténaires, ein von Pierre-Laurent Aimard interpretiertes weiteres Solo-Klavierstück. 

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